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How many times

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Jo Ambros: How many times

Protestsongs wird es geben, solange Menschen zusammenleben. 2020 hatte sich Jo Ambros noch gefragt: „Wo ist das Politische Lied, wo sind die Protestsongs, wo ist die Revolution in der Musik?“ Die Suche nach der Antwort ist zu einer andauernden künstlerischen Auseinandersetzung mit den großen und kleinen Streik-, Kampf- und Protestliedern geworden.
2022 veröffentlicht  Jo Ambros unter dem Titel How many times ein zweites Album mit Instrumentalstücken – wieder mit Dieter Fischer am Bass und Johann Polzer am Schlagzeug.
Wie bereits beim Vorgängeralbum zeigen Ambros Bearbeitungen, dass die großen Protestsongs nicht nur wegen ihrer engagierten Texte in Erinnerung geblieben sind – sie haben einfach unglaublich starke Melodien.

Für How many times wählte Ambros Songs aus den USA, aus dem Spanischen Bürgerkrieg sowie ein ganz neues aus Frankreich. Musikalisch ist das Album rauer und direkter angelegt, es geht mehr nach vorn als sein Vorgänger.
How many times ist die Weiterführung, die auf die fragende getragene Haltung von Bread and Roses mit etwas Forscherem antwortet.

Die neuen Versionen erinnern an Alben von Gitarristen wie Gabor Szabo, Phil Upchurch oder David T. Walker, die in den 1960er und 70er Jahren große Popmelodien in zugänglichen Arrangements neu interpretierten, ohne sie allzu verkopft zu „verjazzen“.

Das Ergebnis bei Ambros: Den Folkklassiker „Where Have All the Flowers Gone“ spielt das Trio als Indie-Song, upbeat und auf den Punkt. „Blowin‘ in the Wind“ klingt wie eine Homage an die Meters. Die Slidegitarren-Interpretation von „Strange Fruit“ ist düster und erinnert an einen Trauermarsch aus New Orleans. Und auch Ambros Signature-Sound ist zu hören, seine Hallräume tragen die schwebende Melodie von „El Quinto Regimento“, einem Lied aus dem Spanischen Bürgerkrieg.

Ambros Kunst als Arrangeur zeigt sich besonders dann, wenn er Folksongs wie „Where Have All the Flowers Gone“ oder Lennons minimalistisches „Give Peace a Chance“ ausbaut, wenn er Zwischenteile einbaut, die die Einfachheit und Kürze der originalen Melodie schlüssig erweitern.

Das Booklet der CD ist diesmal ein Poster, gestaltet von der Grafikerin Marlene Kehle. Sie richtet den Fokus auf das Thema Krieg und Zerstörung und arbeitet buchstäblich mehrschichtig: Auf den Offsetdruck des Posters setzte sie von Hand Farbschichten im Siebdruckverfahren.

Auf der Rückseite des Posters erläutern Texte von Martin Kaluza die Geschichte und die Hintergründe jedes Songs – und auf einem zweiten Poster finden sich deren englische Übersetzungen von Allison Brown.

Jo Ambros: Gitarre
Dieter Fischer: Bass
Johann Polzer: Schlagzeug

Johann Polzer: Aufnahme
Joe Joaquin: Mix und Mastering

Marlene Kehle (Wessinger und Peng): Artwork und Druck

Martin Kaluza: Liner Notes
Allison Brown: Englische Übersetzung

Where Have All the Flowers Gone? – Pete Seeger

Um 1950 herum stolpert der US-amerikanische Folksänger Pete Seeger in Michail Scholochows Roman „Der stille Don“ über eine ukrainisches Volkslied. Die Handlung des Romans spielt in der Zeit der Oktoberrevolution. In einer Passage reiten Donkosaken fort, um sich der Armee des Zaren anzuschließen. Sie singen: „Wo sind die Blumen? Mädchen haben sie gepflückt. Wo sind die Mädchen? Sie alle haben geheiratet. Wo sind die Männer? Sie sind alle in der Armee. Galopp, Galopp, Galopp!“
Seeger schreibt die Zeilen in sein Notizbuch. Fünf Jahre später trifft ihn beim Dösen im Flugzeug die Inspiration: Die Worte „long time passing“ würden sich doch gut singen lassen – im Deutschen werden sie als „Wo sind sie geblieben?“ übersetzt. Aus den alten Notizen und der neuen Eingebung macht er einfach einen neuen Song, ergänzt um die pädagogische Zeile: „When will they ever learn?“
Seeger veröffentlicht das Stück 1955 im Magazin „Sing out!“ „Ich dachte, ich hätte die Melodie selbst geschrieben,“ erinnert er sich einmal. „Bis mir ein Jahr später ein Freund schrieb und mich darauf aufmerksam machte, dass sie sehr der Melodie eines Holzfällersongs aus Adirondacks ähnelte, den ich einmal aufgenommen hatte.“ Ein irisches Lied: „Johnson says he’ll unload more hay / Says he’ll unload ten times a day“.
1960 schließlich schreibt Seegers Freund und Folksänger Joe Hickerson noch zwei weitere Strophen, und erst mit ihnen schließt sich der Kreis des Textes: „Sag, wo die Soldaten sind / Über Gräbern weht der Wind“ und „Sag mir, wo die Gräber sind / Blumen wehen im Sommerwind“.
„Where Have All the Flowers Gone“ erscheint mitten im kalten Krieg, auf dem ersten Höhepunkt des atomaren Wettrüstens. Radio und Fernsehen tragen wenig zu seiner Verbreitung bei. Noch bis weit in die 1970er Jahre wird Pete Seeger vom US-Rundfunk boykottiert. Die Ausnahme bleibt ein Fernsehauftritt 1967 in der Comedy-Show der Smothers-Brüder (einer von ihnen ist später auf der Originalaufnahme von „Give Peace a Chance“ zu hören). Seegers nutzt die Gelegenheit, einen Song gegen den Vietnam-Krieg vorzutragen – was ihm nur weitere Jahre der TV-Verbannung einbringt. Der Erfolg des Blumen-Liedes ist trotzdem nicht aufzuhalten.
Joan Baez nimmt eine Version auf. Die von Peter, Paul & Mary wird ebenfalls zum Hit. „Das Kingston-Trio sang das [Lied] auch, und Marlene Dietrich übernahm es von denen“, sagte Seeger in einem Interview mit dem Neuen Deutschland. „Max Colpet machte eine deutschsprachige Version, die sich besser singen lässt als meine englische. Es klingt im Deutschen wirklich noch beeindruckender: ‚Sag mir wo die Blumen sind.’“

El Quinto Regimiento – trad., in der Fassung von Rolando Alarcón

Am 17. Juli 1936 putscht das Militär gegen die Zweite Spanische Republik, der Bürgerkrieg beginnt. Am Tag darauf gründet die kommunistische Partei einen paramilitärischen Verband, 150.000 Mann stark, um Madrid zu verteidigen. Seine Gründung und sein Führungspersonal werden umgehend in einem Song verewigt: „El Quinto Regimiento“ – „Das fünfte Regiment.“
Die Melodie ist zusammengesetzt aus zwei Volksliedern. Die Strophen stammen aus „El Vito“, der Refrain aus „Anda, jaleo“. Auf einer der bekanntesten Aufnahmen von „Anda, jaleo“ ist übrigens der Dichter Federico García Lorca zu hören, 1931 begleitete er die Sängerin La Argentinita am Klavier.
Im September 1939, ein halbes Jahr nach Ende des Bürgerkriegs, legt der französische Frachter „Winnipeg“ mit 2200 spanischen Flüchtlingen an Bord in der chilenischen Hafenstadt Valparaiso an. Der Dichter und Konsul Pablo Neruda hatte die Fahrt des französischen Frachters in Paris organisiert. 
Als der chilenische Liedermacher Rolando Alarcón dreißig Jahre später ein ganzes Album über den Spanischen Bürgerkrieg aufnimmt – darunter auch „El Quinto Regimiento“ – sind die Passagiere der „Winnipeg“ und die Lieder, die sie mitbrachten, längst in Südamerika heimisch geworden.

Strange Fruit – Abel Meeropol

Wenn im „Café Society“, dem ersten Jazzclub, in denen schwarze und weiße Gäste Zutritt haben, das Ende des Auftritts von Billy Holiday naht, hören die Kellner auf, die Tische zu bedienen. Das Licht wird ausgeschaltet, bis auf einen einzelnen Spot auf die Sängerin. Der Song, den sie dann singt, beschört eine ländliche Südstaatenidylle, in der die grausamsten Verbrechen stattfinden: „Southern trees bear a strange fruit / Blood on the leaves and blood at the root / Black bodies swinging in the southern breeze / Strange fruit hanging from the poplar trees.“ Sie braucht das Wort „Lynchmorde“ nicht einmal zu erwähnen. Holiday besingt im Jahr 1939 ein Tabuthema: Fast 4.000 wurden in den USA seit Ende des 19. Jahrhunderts gelyncht. 90 Prozent dieser Morde fanden in den Südstaaten statt, vier Fünftel der Opfer waren Afroamerikaner.

Geschrieben hat den Song ein Weißer, der jüdische Lehrer Abel Meeropol, auch bekannt unter dem Pseudonym Lewis Allan und Mitglied der kommunistischen Partei. 1936 stieß er auf ein Foto, dass die Lynchmorde an den schwarzen Teenagern Thomas Shipp und Abram Smith zeigte. Verstört von dem Foto schrieb er das Gedicht „Bitter Fruit“ und veröffentlichte es im Magazin der New Yorker Lehrergewerkschaft. Später komponierte er auch die Melodie und den bot den Song über den Nachtclubbesitzer Billy Holiday an. Die Sängerin hätte ihn gern bei Columbia Records aufgenommen, doch die Firma lehnt den Song ab – zu heikel. 1939 nimmt sie ihn schließlich beim Label Commodore auf, zusammen mit drei weiteren Songs, und der Produzent sagt später über die Aufnahmen, er glaube, das sei die erste wirklich moderne Blues-Session gewesen. Die Band, mit der sie den Song einspielt, ist ihre Band aus dem „Café Society“. Von dessen Bühne aus erobert der düstere Song die Welt.

Abel Meeropol steht in der McCarthy-Ära noch einmal in der Öffentlichkeit: Mit seiner Frau Anne adoptiert er 1953 die Kinder des als angebliche Sowjet-Spione hingerichteten Ehepaars Ethel und Julius Rosenberg.

Blowin‘ in the Wind – Bob Dylan

Robert Zimmermann, ein Junge aus dem kargen Norden der USA, geht mit 21 Jahren nach New York und mischt in den Bars und Musikkneipen die Folk-Szene auf. Unter seinem Künstlernamen Bob Dylan spielt er die Songs seines Vorbilds Woody Guthrie. Bald schreibt er eigene Lieder, politisch und engagiert. „The Ballad of Donald White“ oder „The Death of Emmett Till“ sind, ganz der Folk-Tradition folgend, um das Schicksal einer bestimmten Person herum gestrickt.
An einem Abend schreibt er in der Musikkneipe praktisch in einem Rutsch einen neuen Text zur Melodie eines traditionellen Gospels („No More Auction Block“), aber diesmal geht es nicht um eine einzelne Person oder Begebenheit, sondern er zoomt zurück und betrachtet das große Ganze. Und er stellt große Fragen: 
Wie oft müssen die Kanonenkugeln noch fliegen, bevor sie für immer abgeschafft sind? Wie lange halten Menschen es aus zu existieren, ohne frei zu sein? Wie oft kann ein Mensch einfach wegsehen? „Die Antwort, mein Freund, weiß ganz allein der Wind.“ Die Friedensbewegung singt den Song genauso wie die Bürgerrechtsbewegung. „Blowin‘ in the Wind“ wird zu einem der bekanntesten Protestsongs aller Zeiten.

Give Peace a Chance – John Lennon

1967, lange bevor der Ausdruck „Bedroom Recording“ sich in der Musikwelt etabliert, nehmen John Lennon und Yoko Ono einen Song gewissermaßen im Bett auf. Während ihrer Flitterwochen laden der Sänger und die Konzeptkünstlerin zu „Sleep ins“, bei denen sie sich zwischen Decken und Kissen filmen und interviewen lassen. Als Lennon im Queen Elizabeth Hotel in Montreal von einem Reporter nach dem Sinn dieser Aktionen gefragt wird, antwortet er: „Einfach dem Frieden eine Chance geben!“ Er wiederholt den Satz. Und dann noch einmal und immer öfter. Für das nächste Sleep in bestellt er ein Tonbandgerät und Mikrofone und lädt noch mehr Leute ein: den Dichter Allen Ginsberg etwa, den Psychiater und LSD-Aktivisten Timothy Leary, die Sängerin Petula Clark und den Comedian und Gitarristen Tommy Smothers. Vor laufenden Kameras nimmt er einen Song auf, der so eingängig ist, dass jeder den Refrain sofort mitsingen kann: „All we are saying is give peace a chance!“

Danser Encore – Kaddour Hadadi 

2.000 Menschen singen und tanzen auf der Straße des kleinen Örtchens Vans in der Ardèche. Eine Facebook-Gruppe hat dazu aufgerufen. Im Prinzip eine fröhliche Straßenszene – wäre es nicht der 20. März 2021. Frankreich befindet sich wegen des Corona-Virus im Lockdown, und auf der Straße hält sich kaum jemand an die vorgeschriebenen Abstände. Die ebenfalls vorgeschriebene Maske trägt kaum jemand. Der Bürgermeister ist alarmiert.
Inmitten der Menschengruppe stehen die Musiker der Band „HK et les Saltimbanks“. Ihr Song „Danser Encore“ war der Anlass für die Versammlung: Freunde kommt, wir wollen wieder tanzen gehen / Leben ist doch nur als Ganzes schön“. Aus den Zeilen spricht die tiefe Sehnsucht nach Livemusik nach Tanz, nach Begegnung und überhaupt nach kulturellen Veranstaltungen. Kurzum: Nach allem, was während der Corona-Pandemie nicht möglich ist. Der Songwriter Kaddour Hadadi kritisiert in dem Text den französischen Präsidenten Macron. Er beschreibt ihn als „guten König“, die Rhetorik erinnert an die Gelbwesten-Proteste.
Die Idee verselbstständigt sich. Überall in Frankreich – und bald auch in anderen Ländern – versammeln sich im Frühjahr 2021 Flashmobs, um gemeinsam das Lied zu singen und dazu zu tanzen. Das Lied wird auch von Gruppen aufgegriffen, die jegliche Corona-Maßnahmen generell ablehnen, etwa von Corona-Leugnern in Deutschland. Kaddour Hadadi, im nordfranzösischen Roubaix als Sohn algerischer Einwanderer geboren, ist das nicht recht. „Die Leute kennen mich, ich bin politisch links. Das Lied ist über mich hinausgewachsen“, sagt er einer Reporterin des Deutschlandfunks. „Das Lied gehört allen, aber ganz klar nur unter drei Bedingungen: Erstens, es gehört dir, wenn du nicht rassistisch und ausländerfeindlich bist. Zweitens, es gehört dir, wenn du brüderlich, solidarisch und gewaltfrei bist. Und drittens, es darf nicht politisch instrumentalisiert werden.“

A Change is Gonna Come – Sam Cooke

„I was born by the river in a little tent / Oh, and just like the river I’ve been a-runnin’ ever since.“ 1963 ist Sam Cooke einer der erfolgreichsten Sänger seiner Generation. Seine Hits „Cupid“, „Only Sixteen“ oder „What a Wonderful World“, vorgetragen mit butterweicher Stimme, erreichen Millionen Fans, schwarze wie weiße. Doch noch immer haben schwarze Amerikaner nicht die gleichen Rechte wie weiße. Nicht einmal ein Star wie Sam Cooke darf in allen Hotels übernachten und in allen Restaurants essen.
Während einer Tournee hört er Bob Dylans Song „Blowin‘ in the Wind“ zum ersten Mal. Ein Schlüsselerlebnis: Cooke nimmt den Song, in dem der weiße, junge Folksänger aus Minnesota gegen Diskriminierung singt, in sein Repertoir auf und spielt ihn regelmäßig. Und er traut sich nun selbst, einen politischen Song zu schreiben: darüber, wie schwierig, wie schmerzhaft und wie gefährlich es ist, als Schwarzer in den USA zu leben. Im Refrain singt Cooke von Hoffnung – und der traurige, kurz vor der Resignation stehende Ton lässt die Zuhörer ahnen, wie sehr sich Cooke zu seinem Optimismus aufraffen muss: „Es geht schon lange so, aber die Zeiten werden sich ändern.“
Die Melodie für „A Change is Gonna Come“ sei ihm im Traum zugefallen, sagt Cooke einmal, Ende 1963, nur ein paar Monate nach Martin Luther Kings „I Have a Dream“-Rede. Ins Konzert-Repertoir nimmt Cooke seinen eigenen Song nicht auf, er scheint ihm zu finster für fröhliche Club-Auftritte. Nur einmal spielt er ihn vor Publikum, nämlich am 7. Februar 1964 in der Johnny Carson Show. Zwei Tage später treten die Beatles erstmals in der Ed Sullivan-Show auf – die Sensation überstrahlt Cookes Auftritt.
Als Single erscheint der Song im Dezember, wenige Tage nach Sam Cookes Tod, er wurde in einem Motel von der Geschäftsführerin erschossen. Er erlebt nicht mehr, welche Bedeutung sein Song für die Bürgerrechtsbewegung erlangt. Otis Redding nimmt eine Fassung auf, ebenso Aretha Franklin. Als 2008 mit Barack Obama erstmals ein schwarzer Präsident der USA vereidigt wird, trägt die Soulsängerin Bettye LaVette „A Change is Gonna Come“ im Duett mit Jon Bon Jovi vor.