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Stadtparkführung Prenzlau 10. Mai 2025

Die Texte stammen von Martin Kaluza, viele davon finden sich auch auf der Webseite daspolitischelied.de.

1 Hasta siempre, comandante 
Carlos Puebla 

Im April 1965 verlässt Ernesto „Ché“ Guevara Kuba, um im Kongo eine Revolution anzuzetteln. Am 3. Oktober verliest Fidel Castro, Revolutionär und kubanischer Staatschef, einen Abschiedsbrief seines ehemaligen Mitstreiters. Liedermacher Carlos Puebla hört die Rede Castros und kann die ganze Nacht nicht schlafen. In einem Rutsch komponiert er eine Hommage an den Guerrillero. Der Titel „Hasta siempre, comandante“ („Bis in die Ewigkeit, Kommandant!“) ist an- gelehnt an Guevaras Motto „Hasta la victoria, siempre!“ („Immer bis zum Sieg!“). 
Guevaras Revolutionsversuche im Kongo und später in Bolivien scheitern, 1967 wird er von bolivianischen Militärs ermordet. Nach seinem Tod wird Guevara zur Pop-Ikone verklärt, das Lied zur vielfach nachgespielten international bekannten Hymne. Wolf Biermann schreibt einen deutschen Text und singt „Comandante Ché Guevara“ 1976 auf dem Konzert in Köln, unmittelbar vor seiner Ausbürgerung. In Kuba ist der Song bis heute Teil der Revolutionsfolklore. 

2 Bürgerlied 
Text: Adalbert Harnisch (1845) 
Musik: Geschrieben zur Melodie von Prinz Eugen, der edle Ritter

Die Zeiten sind bewegt. Nach der Niederlage Napoleons und der Gründung des Deutschen Bundes auf dem Wiener Kongress ordnen sich die Kräfte in Europa erst langsam neu. Gleichzeitig nimmt die Industrialisierung Fahrt auf, große Teile der Arbeiterschaft leben in Armut, soziale Konflikte sind die Folge. In Preußen und anderswo gründen sich in dieser Zeit des Vormärz Bürgervereine, in denen man über die Dinge spricht, die alle angehen: Man diskutiert über Armut und Bildung, über das Gesellenwesen und man fordert ganz allgemein Mitsprache. Der Postsekretär Adalbert Harnisch schließt sich dem Bürgerverein im westpreußischen Elbing an. Er verfasst Gedichte und Lieder, die er später unter dem Namen Hans Albus veröffentlicht. Auf die Melodie von Prinz Eugen, der edle Ritter schreibt er ein Lied für den Bürgerverein in Elbing, das den Geist der Erneuerung atmet. In drei Schritten beschreibt er, worauf es in der jetzigen Situation ankommt. Zunächst einmal: Äußerlichkeiten und Standesunterschiede sind egal. »Ob wir rote, gelbe Kragen, / Hüte oder Helme tragen, / Stiefeln oder Schuh’. / Oder, ob wir Röcke nähen / Und zu Schuh’n die Fäden drehen: / Das tut nichts dazu.« 
Was zählt, ist, etwas Neues aufzubauen: »Aber, ob wir Neues bauen, / Oder’s Alte nur verdauen / Wie das Gras die Kuh. / Ob wir für die Welt was schaffen, / Oder nur die Welt begaffen: / Das tut was dazu.« Und schließlich, der dritte Schritt, ein Call to Action, wie man heute sagen würde, ein Aufruf, sich zu organisieren und tätig zu werden: »Drum ihr Bürger, drum ihr Brüder, / Alle eines Bundes Glieder, / Was auch jeder tu’. / Alle, die dies Lied gesungen / So die Alten wie die Jungen: / Tun wir denn dazu.« Harnisch trifft den Nerv der Zeit, das Lied verbreitet sich schnell. Es ist kaum veröffentlicht, da wird es schon in Pillau gesungen, von Anhängern des gerade verbotenen Königsberger Bürgervereins. Man singt es unter Oppositionellen in den Böttcherhöfen bei Königsberg, weshalb es eine Zeit lang auch als Königsberger Bürgerlied bekannt ist. Nach dem Scheitern der Revolution 1848/49 entdeckt die Arbeiterbewegung das Bürgerlied für sich. Die Botschaft ist so universell und motivierend, dass sie sich nahtlos auch in diesen Kampf einfügt. In der Zeit der Weltkriege in Vergessenheit geraten, entdeckt die westdeutsche Folk-Bewegung das Bürgerlied in den 1960er-Jahren wieder, Hannes Wader und die Band Zupfgeigenhansel nahmen es in ihr Repertoire auf. In der DDR spielen Gerd Kern und Jack Mitchell es mit einem neuen Text im Oktoberklub. 

3 Die Gedanken sind frei

4 Hevenu shalom

5 Ein lidlIn von den richstetten (Lied der Raubritter) 
Text: unbekannt 
Musik: Oswald von Wolkenstein (um 1440) 

Das Unglück wartet an einem Frühlingsmorgen. Ein Zug Ulmer Händler hat sich gerade im Vilstal auf den Weg gemacht. Die Händler sind auf der Rückreise von der Frankfurter Messe, der Hauptmann Georg Rennwart begleitet sie. Reisen sind im Mittelalter keine ungefährliche Sache, vor allem wenn man so wertvolle Ladung dabei hat. Rund 250 Kilometer müssen die Händler zurücklegen, das sind zehn Tage, wenn man mit Lasttieren und Packwagen unterwegs ist. Sie haben schon den größten Teil der Strecke hinter sich, als sie bei Süßen in einen Hinterhalt geraten. Die Räuber nehmen fünfzehn Gefangene, erbeuten vierzig Pferde und Waren im Wert von fünftausend Gulden. Von dem Überfall berichtet das Lidlin von den richstetten. In der ersten Strophe wird der noch kühle Frühlingsmorgen beschrieben, samt Vogelgesang. Geradezu spöttisch entwickelt sich die Geschichte, wie die zunächst ungläubigen Ulmer der Situation gewahr werden. Anführer des Überfalls sind die Ritter Heinrich Schilling und Sigfried von Zülnhard, damals bekannt als Städtefeinde und Wegelagerer. »Wer fliehen kund / zur selben Stund / von seinem Bund / der blieb gesund.« Historiker haben die Angaben mit der Stadtchronik von Ulm verglichen und können nun ziemlich genau bestimmen: Der Überfall fand im Jahr 1440 oder 1441 statt. Im Lied werden die Kaufleute als Bauern bezeichnet. Auch wenn sie aus Ulm kommen und gar keine Äcker bestellen — aus Sicht der Ritter sind Städter »eingemauerte Bauern«. Die Räuber im Lidlin stammen aus dem niederen Adel. Seit die Landesfürsten zunehmend professionelle Armeen aufstellen, geht es mit dem Adel abwärts, Ritter werden schlicht nicht mehr gebraucht. Nun versuchen sie, sich irgendwie über Wasser zu halten — oft zulasten der Bauern. Die Städte haben noch nicht die Macht, die Sicherheit der Wege zu gewährleisten und planen bereits, sich in Bünden zusammenzuschließen. Das Lidlin ist (anders als Geyers schwarzer Haufen) tatsächlich in der damaligen Zeit entstanden, unmittelbar nach dem Überfall. Es zählt zu den seltenen Beschreibungen aus der Zeit, die einen Blick in die Innenwelt des Raubrittertums erlauben. Den Begriff der Raubritter übrigens verwendet damals noch niemand. Er wird erst 300 Jahre später ge- bräuchlich, gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Die letzte Stro- phe lässt ahnen, dass das Lidlin ein Trinklied war. Mit dem Geld der Ulmer lässt man es so richtig krachen: Das Liedlein ist nun angestimmt, in Neuhaus wird mit dem Ulmer Geld gespielt, da lebt man süß, das Leben ist kein Graus und groß ist der Krug! Die Überlieferung des Lidlins verdanken wir Rochus von Liliencron. Der 1820 in Plön geborene Musikhistoriker hat für Volkslieder Ähnliches geleistet wie die Brüder Grimm für Märchen. Unzählige Handschriften hat er aufgetan und ausgewertet und damit die deutsche Volksliederforschung begründet. Liliencron hat auch eine Antwort der Ulmer auf den Überfall gefunden. Ein suberlich litlin von den rütern ist eine gesungene Klage in 25 Strophen. 
Einige davon sind vermutlich — wie es bei Volksliedern oft vorkommt — später hinzugedichtet worden. Warum sollte man auch eine beliebte Geschichte nicht etwas ausschmücken und den Genuss der Darbietung verlängern? Die Paarung aus Lied und Gegenlied jedenfalls ist selten, zumal unter den ohnehin nur spärlichen Überlieferungen aus der Raubritterzeit. Die ursprüngliche Melodie des Lidlins ist nicht erhalten. Die Melodie, die auf dieser Aufnahme zu hören ist, stammt aus einem Lied des damals populären Sängers, Dichters und Diplomaten Oswald von Wolkenstein, der selbst Ritter war und 1445 starb. 

6 Marseillaise
Claude Rouget de Lisle

Im bayerischen Wald, in der Oberpfalz, liegt die Kleinstadt Cham. Jeden Tag ertönt auf dem dortigen Marktplatz um Punkt 12:05 Uhr zu Ehren des dort als Sohn eines Bierbrauers geborenen Johann Nikolaus Graf Luckner das Glockenspiel. Gespielt wird wird immer das gleiche Lied: Die Marseillaise.
Der Komponist und Dichter Claude Rouget de Lisle schrieb das Lied am 26. April 1792 in Straßburg. Die Zeiten sind bewegt, denn dies ist die Nacht der Kriegserklärung, mit der Frankreich in den Ersten Koalitionskrieg eintritt.
„Auf, Kinder des Vaterlandes / Der Tag des Ruhmes ist gekommen! / Gegen uns ist der Tyrannei / Blutiges Banner erhoben
Hört ihr auf den Feldern / Diese wilden Soldaten brüllen? / Sie kommen bis in eure Arme / Um euren Söhnen, euren Gefährtinnen die Kehlen durchzuschneiden.“
Die wilden Soldaten, von denen die Rede ist, sind Preußen, Österreicher und Deutsche aus verschiedenen Kleinstaaten, die ins Feld geschickt wurden, um die Monarchie gegen das revolutionäre Frankreich zu verteidigen.
Als das Lied in Straßburg verfasst wird, ist der oberpfälzische Graf Luckner dort Oberbefehlshaber und Gouverneur. Man hat ihm die Rheinarmee anvertraut, mit der er die Österreicher aus Belgien zurückdrängen soll. Im Jahr zuvor war er zum „Marshall von Frankreich“ ernannt worden – der höchste militärische Ehrentitel, den die Republik zu vergeben hat. Zunächst heißt das Lied noch „Chant de guerre pour l’armée du Rhin“, „Kriegslied für die Rheinarmee“.
Luckner fällt allerdings schnell in Ungnade. Keine zwei Jahre nachdem ihm zu Ehren das Lied geschrieben wurde, stirbt er auf der Guillotine. Das Revolutionstribunal sieht ihn als Royalisten an – ein Irrtum, den der Nationalkonvent nach bereits einem Jahr korrigiert, in dem er Luckner rehabilitiert.
Der gleiche Nationalkonvent erklärt die Marseillaise am 14. Juli 1795, am sechsten Jahrestag des Sturms auf die Bastille, zur französischen Nationalhymne.

7 Where Have All the Flowers Gone? / Sag mir wo die Blumen sind
Pete Seeger 

Um 1950 herum stolpert der US-amerikanische Folksänger Pete Seeger in Michail Scholochows Roman „Der stille Don“ über eine ukrainisches Volkslied. Die Handlung des Romans spielt in der Zeit der Oktoberrevolution. In einer Passage reiten Donkosaken fort, um sich der Armee des Zaren an- zuschließen. Sie singen: „Wo sind die Blumen? Mädchen haben sie gepflückt. Wo sind die Mädchen? Sie alle haben geheiratet. Wo sind die Männer? Sie sind alle in der Armee. Galopp, Galopp, Galopp!“ 
Seeger schreibt die Zeilen in sein Notizbuch. Fünf Jahre später trifft ihn beim Dösen im Flugzeug die Inspiration: Die Worte „long time passing“ würden sich doch gut singen lassen – im Deutschen werden sie als „Wo sind sie geblieben?“ übersetzt. Aus den alten Notizen und der neuen Eingebung macht er einfach einen neuen Song, ergänzt um die pädagogische Zeile: „When will they ever learn?“ Seeger veröffentlicht das Stück 1955 im Magazin „Sing out!“ „Ich dachte, ich hätte die Melodie selbst geschrieben,“ erinnert er sich einmal. „Bis mir ein Jahr später ein Freund schrieb und mich darauf aufmerksam machte, dass sie sehr der Melodie eines Holzfällersongs aus Adirondacks ähnelte, den ich einmal aufgenommen hatte.“ Ein irisches Lied: „Johnson says he’ll unload more hay / Says he’ll unload ten times a day“. 1960 schließlich schreibt Seegers Freund und Folksänger Joe Hickerson noch zwei weitere Strophen, und erst mit ihnen schließt sich der Kreis des Textes: „Sag, wo die Soldaten sind / über Gräbern weht der Wind“ und „Sag mir, wo die Gräber sind / Blumen wehen im Sommerwind“. „Where Have All the Flowers Gone“ erscheint mitten im kalten Krieg, auf dem ersten Höhepunkt des atomaren Wettrüstens. Radio und Fernsehen tragen wenig zu seiner Verbreitung bei. Noch bis weit in die 1970er Jahre wird Pete Seeger vom US-Rundfunk boykottiert. Die Ausnahme bleibt ein Fernsehauftritt 1967 in der Comedy-Show der Smothers-Brüder (einer von ihnen ist später auf der Originalaufnahme von „Give Peace a Chance“ zu hören). Seegers nutzt die Gelegenheit, einen Song gegen den Vietnam-Krieg vorzutragen – was ihm nur weitere Jahre der TV-Verbannung einbringt. Der Siegeszug des Blumen- Liedes ist trotzdem nicht zu stoppen. Joan Baez nimmt eine Version auf. Die von Peter, Paul & Mary wird ebenfalls zum Hit. „Das Kingston-Trio sang das [Lied] auch, und Marlene Dietrich übernahm es von denen“, sagte Seeger in einem Interview mit dem Neuen Deutschland. „Max Colpet machte eine deutschsprachige Version, die sich besser singen lässt als meine englische. Es klingt im Deutschen wirklich noch beeindruckender: ‚Sag mir wo die Blumen sind.’“