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Texte zu den Liedern der heutigen Veranstaltung von Martin Kaluza

Viele Text finden sich auch auf der Webseite daspolitischelied.de von Martin Kaluza.

Foggy dew

Canto nocturno

Marseillaise

Bürgerlied

Where Have All the Flowers Gone? / Sag mir wo die Blumen sind
Pete Seeger 

Um 1950 herum stolpert der US-amerikanische Folksänger Pete Seeger in Michail Scholochows Roman „Der stille Don“ über eine ukrainisches Volkslied. Die Handlung des Romans spielt in der Zeit der Oktoberrevolution. In einer Passage reiten Donkosaken fort, um sich der Armee des Zaren anzuschließen. Sie singen: „Wo sind die Blumen? Mädchen haben sie gepflückt. Wo sind die Mädchen? Sie alle haben geheiratet. Wo sind die Männer? Sie sind alle in der Armee. Galopp, Galopp, Galopp!“ 
Seeger schreibt die Zeilen in sein Notizbuch. Fünf Jahre später trifft ihn beim Dösen im Flugzeug die Inspiration: Die Worte „long time passing“ würden sich doch gut singen lassen – im Deutschen werden sie als „Wo sind sie geblieben?“ übersetzt. Aus den alten Notizen und der neuen Eingebung macht er einfach einen neuen Song, ergänzt um die pädagogische Zeile: „When will they ever learn?“ Seeger veröffentlicht das Stück 1955 im Magazin „Sing out!“ „Ich dachte, ich hätte die Melodie selbst geschrieben,“ erinnert er sich einmal. „Bis mir ein Jahr später ein Freund schrieb und mich darauf aufmerksam machte, dass sie sehr der Melodie eines Holzfällersongs aus Adirondacks ähnelte, den ich einmal aufgenommen hatte.“ Ein irisches Lied: „Johnson says he’ll unload more hay / Says he’ll unload ten times a day“. 1960 schließlich schreibt Seegers Freund und Folksänger Joe Hickerson noch zwei weitere Strophen, und erst mit ihnen schließt sich der Kreis des Textes: „Sag, wo die Soldaten sind / über Gräbern weht der Wind“ und „Sag mir, wo die Gräber sind / Blumen wehen im Sommerwind“. „Where Have All the Flowers Gone“ erscheint mitten im kalten Krieg, auf dem ersten Höhepunkt des atomaren Wettrüstens. Radio und Fernsehen tragen wenig zu seiner Verbreitung bei. Noch bis weit in die 1970er Jahre wird Pete Seeger vom US-Rundfunk boykottiert. Die Ausnahme bleibt ein Fernsehauftritt 1967 in der Comedy-Show der Smothers-Brüder (einer von ihnen ist später auf der Originalaufnahme von „Give Peace a Chance“ zu hören). Seegers nutzt die Gelegenheit, einen Song gegen den Vietnam-Krieg vorzutragen – was ihm nur weitere Jahre der TV-Verbannung einbringt. Der Siegeszug des Blumen-Liedes ist trotzdem nicht zu stoppen. Joan Baez nimmt eine Version auf. Die von Peter, Paul & Mary wird ebenfalls zum Hit. „Das Kingston-Trio sang das [Lied] auch, und Marlene Dietrich übernahm es von denen“, sagte Seeger in einem Interview mit dem Neuen Deutschland. „Max Colpet machte eine deutschsprachige Version, die sich besser singen lässt als meine englische. Es klingt im Deutschen wirklich noch beeindruckender: ‚Sag mir wo die Blumen sind.’“ 

Die Gedanken sind frei (ist noch in Arbeit)

Die Moorsoldaten
Johann Esser, Wolfgang Langhoff / Rudi Goguel 

Am 27. August 1933 führen Gefangene im Konzentrationslager Börgermoor im Emsland eine regelrechte Revue auf. Die Häftlinge müssen Moore trockenlegen und Torf stechen, viele überleben die Strapazen nicht. Einer der Insassen, Schauspieler Wolfgang Langhoff, überzeugt die Offiziere, ein wenig Abwechslung zu erlauben. Langhoff ist Kommunist und Antifaschist, und hier führt er nun als Direktor durch die Show des „Zirkus Konzentrazani“: Clowns, ein Ballett der dicksten Häftlinge, und zum Abschluss erklingt erstmals ein Lied, das Johann Esser, Wolfgang Langhoff und Rudi Goguel frisch geschrieben haben: „Wir sind die Moorsoldaten und ziehen mit dem Spaten ins Moor“. Von dort zieht es um die Welt: Häftlinge, die verlegt wurden, singen es in anderen Lagern. Ein Entlassener singt es in London Hanns Eisler vor, der eine Klavierfassung schreibt und sie mit in die USA nimmt. Ernst Busch und Paul Robeson singen es in Spanien, um den Kampf gegen Diktator Franco zu unterstützen, Robeson nimmt 1942 eine englische Fassung auf. Aus den „Moorsoldaten“ werden „The Peat-Bog Soldiers“, „Los Soldados del Pantano“ und „Le Chant des Marais“. Langhoff, der das Lied initiiert hatte, wird 1946 Intendant des Deutschen Theaters in Ost-Berlin. 

Hasta siempre, comandante 
Carlos Puebla 

Im April 1965 verlässt Ernesto „Ché“ Guevara Kuba, um im Kongo eine Revolution anzuzetteln. Am 3. Oktober verliest Fidel Castro, Revolutionär und kubanischer Staatschef, einen Abschiedsbrief seines ehemaligen Mitstreiters. Liedermacher Carlos Puebla hört die Rede Castros und kann die ganze Nacht nicht schlafen. In einem Rutsch komponiert er eine Hommage an den Guerrillero. Der Titel „Hasta siempre, comandante“ („Bis in die Ewigkeit, Kommandant!“) ist angelehnt an Guevaras Motto „Hasta la victoria, siempre!“ („Immer bis zum Sieg!“). 
Guevaras Revolutionsversuche im Kongo und später in Bolivien scheitern, 1967 wird er von bolivianischen Militärs ermordet. Nach seinem Tod wird Guevara zur Pop-Ikone verklärt, das Lied zur vielfach nachgespielten international bekannten Hymne. Wolf Biermann schreibt einen deutschen Text und singt „Comandante Ché Guevara“ 1976 auf dem Konzert in Köln, unmittelbar vor seiner Ausbürgerung. In Kuba ist der Song bis heute Teil der Revolutionsfolklore. 

We Shall Overcome
Traditional 

Anfang des 20. Jahrhunderts singen amerikanische Bergarbeiter während eines Streiks „We Will Overcome“. 1945 singen ihn Tabakarbeiterinnen in South Carolina, ebenfalls als Streiklied. Seit 1959 schließlich steht „We Shall Overcome“ vor allem für die amerikanische Bürgerrechtsbewegung, die, angeführt von Martin Luther King, friedlich für die Aufhebung der gesetzlich festgeschriebenen „Rassentrennung“ kämpft. Pete Seeger und Joan Baez machen den Song in der Popmusik bekannt. Aber wer hat das Lied geschrieben? Meist wird die Hymne „I‘ll Overcome Someday“ des Methodistenpredigers und Gospelkomponisten Charles Albert Tindley als Vorbild genannt. 2012 legte Musikproduzent Isaias Gamboa nahe, der Protestsong gehe auf die Hymne „If My Jesus Wills“ von Louise Shropshire zurück, die später mit Martin Luther King befreundet war. Sicher ist: Einer der bekanntesten Protestsongs überhaupt hat seinen Ursprung im Gospel – und er hat sich, bevor die ganze Welt ihn kennen lernte, mehrfach gewandelt. 

Give Peace a Chance
John Lennon 

1967, lange bevor der Ausdruck „Bedroom Production“ sich in der Musikwelt etabliert, nehmen John Lennon und Yoko Ono einen Song gewissermaßen im Bett auf. Während ihrer Flitterwochen laden der Sänger und die Konzeptkünstlerin zu „Sleep ins“, bei denen sie sich im Bett filmen und interviewen lassen. Als Lennon während einer solchen Veranstaltung im Queen Elizabeth Hotel in Montreal von einem Reporter nach dem Sinn dieser Aktionen gefragt wird, antwortet er: „Einfach dem Frieden eine Chance geben!“ Er wiederholt den Satz. Und dann noch einmal und immer öfter. Für das nächste Sleep in bestellt er ein Tonbandgerät und Mikrofone und lädt noch mehr Leute ein: den Dichter Allen Ginsberg etwa, den Psychiater und LSD-Aktivisten Timothy Leary, die Sängerin Petula Clark und den Gitarristen Tommy Smothers. Vor laufenden Kameras nimmt er einen Song auf, der so eingängig ist, dass jeder den Refrain sofort mitsingen kann: „All we are saying is give peace a chance!“ 

Bread and Roses 
James Oppenheim / Caroline Kohlsaat 

„Die Arbeiterin braucht Brot, aber sie braucht auch Rosen!“ 1911 bringt die Frauenrechtlerin und Gewerkschaf- terin Rose Schneiderman in einer Streikrede auf den Punkt, woran es Textilarbeiterinnen in New York mangelte: Brot – das steht für gerechten Lohn, erträgliche Arbeitszeiten und Sicherheit am Arbeitsplatz. Und Rosen – damit ist ein menschenwürdiges Leben außerhalb der Betriebe gemeint. Solidarität in den Gewerkschaften müssen sich die meist frisch eingewanderten Arbeiterinnen, die zum Teil wenig Englisch sprechen und als Lohndrückerinnen abgestempelt werden, erst erkämpfen. 
1912 steht Schneidermans Zitat auf den Plakaten des Streiks von 20.000 Textilarbeiterinnen in Lawrence (Massachusetts), der als „Bread and Roses Strike“ in die Geschichte der Arbeiterbewegung eingeht. James Oppenheim schreibt um den Slogan herum ein Gedicht, 1917 komponiert Caroline Kohlsaat die Musik. Manchmal wird Martha Coleman als Komponistin genannt – möglicherweise ist das dieselbe Person. Nach dem 2. Weltkrieg vertonen erst Mimi Fariña (Joan Baez’ Schwester) und später Folksänger John Denver den Song erneut. Das Lied steht für zwei politische Bewegungen: Es wird in der Frauen und in der internatio- nalen Gewerkschaftsbewegung gesungen.