
Auf seinem neuen Album „Trotz alledem“ spielt der Gitarrist Jo Ambros außergewöhnliche Folk-Jazz-Interpretationen von Liedern aus der Zeit der Bauernkriege und der 1848er-Revolution
Das muss man sich erst einmal so ausdenken: Ein treibendes Intro, das an Stevie Wonders „Master Blaster (Jammin‘)“ erinnert, geht über in eine locker hüpfende Melodie aus dem 15. Jahrhundert. Der Song beschreibt einen Überfall von Raubrittern auf Ulmer Kaufleute – doch heraushören wird das niemand, denn das Trio spielt den Song als Instrumentalversion. Hier geht es um die Musik! Oder nicht nur?
„Trotz alledem“ ist nach „Bread & Roses“ (2020) und „How Many Times“ (2022) Ambros‘ drittes Instrumentalalbum mit Protestsongs. Erstmals hat Jo Ambros ausschließlich deutschsprachige Songs ausgewählt – Lieder aus der Zeit des Bauernkriegs und der gescheiterten Märzrevolution von 1848/49, die von der Folk-Bewegung in den 1960er Jahren schon einmal wiederentdeckt worden waren, eingerahmt von Franz-Josef Degenhardts „Zündschnüre-Song“ und dem Kinderlied „Auf einem Baum ein Kuckuck“.
In den Interpretationen scheinen die großen Umdeuter populärer Melodien durch. Ambros‘ Verschränkungen von Melodie und Harmonien erinnern an Bill Frisells Folk-Jazz und an die Jazz-Adaptionen amerikanischer Pop-Großmeister durch Gabor Szabo. Die Lieder dieses dritten Albums können zwar nicht so viele mitsingen wie bei den früheren Alben – allenfalls Kenner der Folk-Szene. Doch Ambros‘ Kunst funktioniert auch ohne den Vergleich: Hier bringt ein eingespieltes Trio die Musik zum Atmen, und das raumfüllend im besten Sinne.
„Seit dem ersten Album 2020 ist das Trio immer mehr zu einer Working Band geworden“, sagt Ambros, der die Songs konzipiert und dann im Proberaum mit der Band ausbauen und weiterspinnen lässt. Ambros‘ Spiel wird komplementiert von Dieter Fischers Basslinien, die mal fundamental dastehen, mal die Gitarre kontrapunktisch ergänzen, und Johann Polzers nüchtern-vielseitigem Schlagzeug. „Jo wollte, dass wir die Stücke so gut kennen, dass jeder von uns sie beim Spielen on the fly verändern kann“ sagt Bassist Dieter Fischer. „Wir klingen jetzt freier.“
„Jo ist sehr begabt darin, wie zwei Gitarren gleichzeitig zu klingen“ sagt Max Braun, der das Album in seinem Studio in Stuttgart produziert und abgemischt hat. Die Band befand sich bei den Aufnahmen im gleichen Raum, Braun kam es auf einen nahen, direkten Sound an – ein Mikro vor dem Bassverstärker, eins vor dem für die Gitarre, ein weiteres nahm den akustischen Klang der Gibson ES-175 von 1953 auf. Das Schlagzeug, mit sparsamen drei Mikros aufgenommen, musste Polzer besonders leise spielen, „eigentlich ja Protest-untypisch“, so Max Braun.
Die Präsentation des Albums im feuerroten Umschlag mit grüngelben Innenseiten wurde visuell und haptisch kongenial umgesetzt vom Stuttgarter Grafiker Marcus Wichmann. „Die Broschüre sollte außergewöhnlich wirken, aber nicht nach Agenturprodukt aussehen“, sagt Wichmann. Er wählte eine große Schrifttype, um die Texte von Martin Kaluza in Szene zu setzen, die die Geschichte der Songs erzählen. Aus dem eigenen Archiv wählte er assoziativ Fotos aus, die Themen wie Konsum, Umwelt, Macho-Verhalten aufgreifen – und so an die Botschaft der Songs anschließen, um sie ins Heute weiterzuspinnen.