Zum Inhalt springen

Wir sind des Geyers schwarzer Haufen

Über unsere sechste und vorletzte Single „Wir sind des Geyers schwarzer Haufen“ schreibt Martin Kaluza:

Welche Lieder über den Bauernkrieg kennen wir? Keine Frage: Die meisten von uns werden direkt an Wir sind des Geyers schwarzer Haufen denken. Kein anderes Bauernkriegslied ist so bekannt wie dieses: »Wir sind des Geyers schwarzer Haufen, heia hoho, / und wollen mit Tyrannen raufen, heia hoho, / Spieß voran, drauf und dran, / setzt auf’s Klosterdach den roten Hahn!« Der »rote Hahn«, klar, ist eine Metapher für züngelnde Flammen. Dreizehn Strophen hat das ziemlich brutale Lied. Man klagt dem Herrn, dass man Pfaffen nicht totschlagen darf, schickt die Kinder des Edelmanns in die Hölle, vergewaltigt seine Tochter, aber fordert eben auch ein gleiches Gesetz, »vom Fürsten bis zum Bauersmann«. Eine Zeile ist, ganz konkret, der Weinsberger Bluttat gewidmet, als Bauern vor den Toren der Stadt den Grafen Ludwig von Helfenstein und seine Begleiter töteten — am Ostermontag 1525. Ihr Anführer Florian Geyer entstammt einer reichen Familie aus dem unterfränkischen Giebelstadt. Der kriegserfahrene Adlige hat die Mittel, eine eigene Streitmacht aufzustellen und auszubilden. Sie ist von Weitem an ihrer schwarzen Kleidung zu erkennen. Warum er die Seiten wechselte und sich den Bauern anschloss? Die Historiker sind sich nicht sicher. Es ist aber gut möglich, dass er es aus Überzeugung tat. Allerdings, allerdings: Wir sind des Geyers schwarzer Haufen ist kein Lied aus der Zeit des Bauernkriegs. Geschrieben wurde es erst 1919, nach dem 1. Weltkrieg. Da ist der Held, den es beschreibt, schon fast 400 Jahre tot — und längst mythisch überhöht. Das Lied entstand im Umfeld der Bündischen Jugend, der überwiegend völkisch-national eingestellten Jugendbewegung, die aus Pfadfindern und der Wandervogelbewegung hervorgegangen war. 
Die Musik stammt von Fritz Sotke, der später auch Lieder für die Hitlerjugend schrieb, der NSDAP und der SS beitrat. Der Text ist aus mehreren Quellen zusammengetragen. Der größte Teil ist aus dem Gedicht Der arme Kunrad abgeleitet, das Heinrich von Reder 1885 veröffentlichte. Eine Strophe trug Hans Godwin Grimm bei, eine andere Kurt Zacharias, ein paar Zeilen sind grob aus Geyers Zeit überliefert: Die Zeilen »Als Adam grub und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?« stammen aus dem englischen Bauernaufstand von 1381 und tauchen noch in anderen Liedern auf. Und die Passage »Wir wollen’s Gott im Himmel klagen, dass wir die Pfaffen nicht dürfen totschlagen« wird Hans Böhm zugeschrieben, einem bis dahin eigentlich unbekannten Viehhirten, der 1476 die Menschen zur Wallfahrt nach Niklashausen aufrief, ihnen Ablass von ihren Sünden versprach und die soziale Gleichheit der Menschen verkündete. Es sind zwar durchaus Lieder direkt aus der Zeit des Bauernkriegs überliefert. Allerdings haben nur die Texte überlebt. Zu welchen Melodien sie gesungen wurden, weiß niemand. Und vor allem: Viele dieser Lieder richteten sich gegen die aufständischen Bauern. Der Musikhistoriker Rochus von Liliencron hat eine ganze Reihe von Liedern zusammengetragen. Der oftmals hämische Tenor: Es lohnt sich nicht, eine Revolution anzufangen. So eindeutig der historische Geyer in dem damaligen Konflikt an der Seite der Bauern stand, so umkämpft war, wer ihn in späteren Jahren für sich in Anspruch nehmen konnte. Das hat mit Deutungskämpfen um den Bauernkrieg selbst zu tun. Mitte des 19. Jahrhunderts erklärt Friedrich Engels den Bauernkrieg zum Klassenkampf. Florian Geyer ist für ihn ein Vorläufer des proletarischen Revolutionärs. Im 20. Jahrhundert vereinnahmen die Nazis den Bauernführer. Was die mit einem solchen Revolutionär wollen? Der Bauernstand ist nach völkischer Lehre eine der Urkräfte des deutschen Volkes. Da lässt sich ein solcher Held gut einbauen. Nach dem 2. Welt- krieg stört es weder die Linken in der Bundesrepublik noch in der DDR, dass die Nazis solche Geyer-Fans gewesen waren. In der DDR sieht man in ihm den Kämpfer gegen den Feudalismus, benennt Straßen, Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPGs) und ein Grenzregiment nach ihm. Wir sind des Geyers schwarzer Haufen steht in Liederbüchern der Nationalen Volksarmee. Und in der Bundesrepublik? Man sieht Geyer — etwas gemäßigter — zunächst einmal als sozialen Reformer. Der Song wird an vielen Lagerfeuern gesungen. Und so konnte es passieren, dass ausgerechnet der Volkssänger der bundesrepublikanischen Konservativen einen Song über einen Sozialreformer ins Repertoire nahm: Eine der bekanntesten Aufnahmen von Geyers schwarzem Haufen stammt von Heino.

Wir sind des Geyers schwarzer Haufen
Text: Hans Godwin Grimm, Kurt Zacharias u. a. nach einem Text von Heinrich von Reder aus dem Jahr 1885 (Der Arme Kunrad) neu gedichtet 
Musik: Fritz Sotke (1919)